KOMM-Bildungsbereich

1990 - 1999

"8. freie Kunstsession"

Zum achten Mal präsentierte sich die freie Nürnberger Kunstsession der Öffentlichkeit. Durch die gestiegene Nachfrage der KünstlerInnen nach Ausstellungsmöglichkeiten fand die Session 1995 erstmalig in den größeren Räumlichkeiten des KOMM-Bildungsbereiches statt.

Colorierte Tuschezeichnung: Wir sind das Volk © Martin Blättner

Die Gruppen der ANA (Autonome Nürnberger Akademie) das LOCH und die QUINTESSENZEN sowie zahlreiche EinzelkünstlerInnen werden mit Spaß und schier unermesslichen kreativen Ideen auch in diesem größeren Umfang dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit auf Ihre Kosten kommen wird.

Die Einmaligkeit der "Freien Nürnberger Kunstsession" liegt meines Erachtens im wesentlichen in zwei Faktoren begründet:

  • Zum einen im regionalen Bezug, dem sich die OrganisatorInnen verpflichtet fühlen und den sie lediglich durch gelegentliche Schwerpunkte erweitern
  • zum anderen durch die offene Struktur der Session, die auch für weniger beachtet oder desillusionierte KünstlerInnen wieder eine Plattform bildet.
Zeichnung: Und erlöse uns von den Übeln © Bernd de Payrebrune

Diese bewusst gewählte offene Struktur machte es demnach auch möglich, dass akademische KünstlerInnen neben AudodidaktInnen, organisierte KünstlerInnen neben unorganisierten, Bekannte neben Unbekannten ihre Werke der Öffentlichkeit zugänglich machen können.
So ist es nicht verwunderlich, dass sich die "Freie Nürnberger Künstlersession" in der Zwischenzeit zu einem wahren "Katalysator" in Sachen künstlerischer und avantgardistischer Aktionen in der Region herauskristallisierte.

Namen wie Harri Schemm, Peter Engel, Helmut Jahn, Barbara Denzler, Stefan Saffer, Peter Habermann, Rudi Lilly, Johannes Nürnberger stehen hier stellvertretend für inzwischen weit über 300 KünstlerInnen, die im Laufe der Jahre die Session als Plattform nutzen.

Sowohl die Session, als auch Einzelaktionen von KünstlerInnen wie Bernd de Payrebrune, Christian Schneider oder Angelika Reinike zeigen mir, wie unmittelbar die Verschmelzung außergewöhnlicher Kreativität mit hintergründiger und tiefsinniger gesellschaftsrelevanten Fragestellungen hier gelingt. Dabei ist nicht mehr der Blick auf die Realität das ausschlaggebende Ereignis für den/die KünsterInnen ein Werk zu kreieren, sondern das Werk selbst.

Im Gegensatz zur traditionellen Kunst vertraut die moderne und nach Ihr auch die postmoderne Kunst nicht mehr auf eine Wirklichkeit die wiedergegeben werden will, sondern "sie hat erkannt, dass es mit der Wirklichkeit nichts ist (...)" (W. Welsch) und hat daher begonnen, sich an sich selbst heraus weiterzuentwickeln. Dazu greift sie zwangsläufig auf das Mittel der Reflektion als Kontrolle, wie auch als Motor zur Weiterentwicklung zurück.

Foto der Skulptur: Zerstörer der Welt © Rainer Edelmann

Postmoderne Kunst als unmittelbarer Ausdruck gesellschaftlicher Fragestellungen und ihrer Reflektionen darüber ermöglicht uns, durch die ihr eigene Sichtweise der Dinge, einen ganzheitlichen Zugang zu originären Sachverhalten. Sie erfordert daher eine Wahrnehmung, die mit Innewerden, Gewahrwerden, Merken, Fühlen - wie Welsch dies ausdrückt - zu tun hat. Sie erfordern auch, aufgrund ihrer bereitgestellten "Wahrnehmungspotentiale" eine besondere "Wahrnehmungsfähigkeit", die zugegebenermaßen auch das Bemühen des Einzelnen voraussetzt, sich diese zu erschließen.
Postmoderne Kunst - um es hier stark verkürzt und postulierend festzustellen - ist aufgrund der ihr eigenen Praxis von Dekomposition, Reflektion und Experiment keine Kunstrichtung, die auf Einheit und Homogenität, sondern auf Vielheit und Pluralität setzt. Das heißt " kein Kunstwerk ist das Kunstwerk, kein Stiel der Stiel, kein Ansatz der Ansatz" (Welsch). Ein Kunstverständnis also, das primär Wiederspieglung unserer pluralen Demokratie ist.

Ganz diesem Modellcharakter postmoderner Kunst widersprechend ist dagegen die gesellschaftliche Realität der Kunstschaffenden. KünstlerInnen als RepräsentantInnen und VorreiterInnen von Demokratie und Pluralität, müssen in diesem Freistaat immer noch betteln gehen, wollen sie finanzielle oder infrastrukturelle Unterstützung.
Ganz vom Wohlwollen der "edlen SpenderInnen" abhängig, fristen KünstlerInnen ihr Hungerdasein oder leben von Nebenjobs, die ihre Haupteinnahmequellen sind. Dieses feudalistische Prinzip voraufklärerischer Zeiten ist leider repräsentativ für die Kulturszene in diesem Land, insbesondere dieses Freistaates.
Feste Strukturen durch Fonds für freischaffende KünstlerInnen, Existenzgründerdarlehen (Absicherung durch staatliche Ausfallbürgerschaften), Förderung von Atelierbauten, erweiterte professionelle Ausstellungsflächen, gezielte Nachwuchs- und Altenförderung, Schaffung eines Fonds für soziokulturelle Angelegenheiten, wären Forderungen, die weder Millionen verschlängen, noch Unmögliches von den Regierenden verlangten, sondern die lediglich den politischen Willen zur Förderung zeitgenössischer Kultur zeigen brauchten.

Foto der Skulptur: Alles was ihr wollt und das in Gold © Ursula Maria Pesserl

Die "Freie Nürnberger Kunstsession" lässt ahnen, was für Potentiale in der Künstlerszene brachliegen, da die Strukturen zu deren Entfaltung fehlen. Nur durch lockeres ehrenamtliches Engagement, finanzielle Unterstützung zum Teil durch den eigenen Geldbeutel und soziokulturellen, Infrastrukturmöglichkeiten, Kulturmöglichkeiten, wie das Nachbarschaftshaus oder das KOMM, ist es überhaupt möglich geworden, die damalige Werkschau durchzuführen.

Matthias Dachwald KOMM - Bildungsbereich

Ausstellung davor