Die Ausstellung "Die künstlichen Paradiese" (nach einem Titel Charles Baudelaires) wuchs als Idee und
Konzeption aus der jahrelangen Auseinandersetzung der Komm-Mitarbeiter mit dem Drogen- und Suchtproblem der Besucher des
Hauses. Ihren theoretischen Niederschlag fand diese Auseinandersetzung im Drogenkonzept des Komm von 1979 bzw. dem
Diskussionsbeitrag "Drogen 2000", den das KOMM zusammen mit der alternativen Drogenhilfe Mudra und dem Institut
für soziale und kulturelle arbeit ISKA 1992 der Öffentlichkeit präsentierte. Aus diesen Erfahrungen heraus
will die Ausstellung andere Wege gehen als die der reinen Darstellung von Fakten mit abschreckender Wirkung. Sie will
gleichsam bei den Motiven des Drogenkonsums ansetzen, seine Gefahren, aber auch Stigmatisierungen im gesellschaftlichen
Raum darstellen, ohne die Faszination und das Lockende daran einfach zu leugnen.
Das ästhetische Konzept der Ausstellung steht in der Tradition der zwei großen Konzeptausstellungen des
Bildungsbereichs im KOMM - "Mythen und Moden" sowie "betrifft: Sicherheit", deren tragendes Element
die Erstellung von Erlebnisräumen war, die bestimmte Gefühlszustände visualisieren und damit der Reflexion
zugänglich machen wollen.
Diese Erlebnisräume sind also nicht gedacht als dokumentarische Nachstellung von bestimmten Lebenswelten (etwa die
Nachstellung einer Fixerwohnung mit stilisierter Schaufensterpuppe, die sich gerade die Nadel ansetzt), sondern versuchen,
auf einer latenten Ebene von Sehnsüchten, Wünschen, Ängsten usw. anzusetzen und diese sinnlich und
diskursiv zugänglich zu machen.
"Normales Leben" - Foyer:
Das Foyer hat zum thematischen Schwerpunkt: Die Versprechungen und Entfremdungen der Warenwelt, die den Menschen gleichzeitig Befriedigung und Glück verheißt, diese aber als eine endlose Kette zu steigernder Wünsche und kaufbarer Artikel vorstellt, die im nichts endet.
Gestaltung:
In der linken Nische steht im Hintergrund ein Schwarz-Weiß-Großfoto in der Hauptkonsumstraße Nürnbergs (Breite Gasse). Circa drei Meter vor dem Foto wird die Nische zum Zuschauerraum hin durch einen Gazevorhang abgeschlossen, durch den das durch Strahler beleuchtete Foto noch zu sehen ist wie hinter Milchglas. Auf diese Oberfläche werden mit einem Diaprojektor Farb-Bilder von Waren oder Verkaufsszenen projiziert.
Auf der anderen Seite des Foyers sitzen vor einem schwarzen Vorhang Schaumstoffpuppen auf alten Kinostühlen, die auf das Großfoto ausgerichtet sind. Sie sind gleichzeitig das Publikum der Waren-Dia-Schau... An den beiden abgeschrägten Wänden beiderseits der Diaprojektion, also der "geheimen Versprechen der Warenwelt" (W. Benjamin), sind zwei Texte angebracht. Rechts steht eine Tabelle mit nüchternen Zahlenkolonnen. Links steht das Gedicht eines Fixers.
Material:
"Risiken und Grenzüberschreitungen im Adventskalender" - Gang
Der lange Gang eignet sich als Symbolisierung eines imaginären Weges. Er ist als ein Tunnel konzipiert, von dessen Ende ein heller - bisweilen blendender - Lichtstrahl auf den eintretenden Betrachter zu kommt. Was dieses Licht bedeutet, bleibt ungewiss: es könnte eine Verheißung, ein Erlösungsversprechen sein, es könnte aber auch sein, was George Tabori einmal über die Metapher des Lichtes am Ende des Tunnels sagte: Man könne sich nie sicher sein, dass es nicht vom entgegenkommenden D-Zug stamme.
Gleichzeitig soll über das lineare Licht die Linie dargestellt werden, von der man abweichen muss, wenn man hin will zu dem, was im Schatten liegt und was durch Aufleuchten im Dunkeln Neugierde erweckt. Man muss dabei ein gewisses Risiko eingehen, da nicht immer gleich vollkommen einsehbar ist, was einen erwartet.
Gestaltung:
Am Eingang und am Ausgang des Ganges stehen jeweils Zitate von Baudulaire, die die Stationen eines Trips markieren
(der Aufbruch, der Tag danach). Vom Ende des Ganges kommt das Licht eines grellen Scheinwerfers, der durch einen kleinen
Schlitz in der Schlusswand gebündelt wird. Sein Schein reicht bis zum Beginn des Gangs. Dieser Lichteffekt wird
verstärkt durch die Umrahmung des Eingangs durch eine Reihe bunter Glühbirnen (etwa wie am Jahrmarkt). Am Ende
des Ganges gibt es einen Durchgang in den Offenen-Tür-Bereich; dort hat man einen Blick auf den "nackten"
Scheinwerfer, hinter die Kulissen. Im Gang selbst ist es bis auf den blendenden Scheinwerfer dunkel.
Wie ein Adventskalender öffnen sich an einigen Stellen des Ganges Vitrinenfenster oder Türen zu weiteren
Räumen. Die Bandbreite und Alltäglichkeit der verschiedenen Sächte und Grenzerfahrungen soll in
verschiedenen Formen dokumentiert werden.
Material:
Raum I: Reflexionsraum
Dieser Raum ist insbesondere für Besucher von Führungen gedacht, die hier Platz finden, um in der Gruppe noch
einmal über die Ausstellung zu sprechen ...
Im Raum stehen ca. 20 Stühle. An den Wänden sind Suchtdefinitionen aus dem Lexikon der Süchte auf rotem
DIN A 3 - Papier gedruckt und laufen als durchgängiges Band durch den Raum.
Eine Vitrine, die sich auf den täglichen Drogenkonsum bezieht (Einwegspritzen teilweise mit Blut gefüllt,
weißes Pulver), stellt die realen Folgen einer Abhängigkeit von harten Drogen dar.
Material:
Raum II: Stahlraum
Dieser Raum symbolisiert in seinem Aufbau das ahnungslose und doch sehende Hineinrutschen in die Sucht, an dessen Ende eine Sackgasse entsteht. Zugleich aber - als Kontrast und Komplement - stellt sie neben dem Rauscherlebnis und seiner Wiederholung in gleichsam immer engere Bahnen auch die wissenschaftlich-medizinische Erkenntnisform da, die das Problem der Sucht, trotz aller ihrer definitorischen Anstrengungen, noch nicht - und vielleicht niemals - in den Griff bekommen konnte.
Gestaltung:
Vom Gang her sind zwei Eingänge sichtbar, die in den scheinbar gleichen Raum führen. Der ursprüngliche
eine Raum mit zwei Türen wird durch drei Stahlwände in zwei Gänge aufgeteilt. Betritt man jeweils die
dadurch entstehenden Räume, werden sie beim Durchschreiten enger, bis sie trichterförmig enden. Durch die Decke,
eine weiße Stoffbespannung , dringt indirektes diffuses mildes Licht. Der Strahl glänzt matt. Der Boden ist in
stahlfarbenem Grau gestrichen.
Ab den Wänden werden als Lautschriften unterschiedliche Zitatfolgen angebracht: in einem Gang stehen medizinische
und wissenschaftliche Zitate über Suchtwirkungen usw.; im anderen Gang literarische Zitate über Suchterlebnisse.
Durch das Text-Layout als übereinanderstehende fortlaufende Texte wird der Besucher, der am Anfang der Schnecke zu
lesen beginnt, unmerklich in die Sackgasse geführt.
Material:
Raum III: Sargraum
Dieser Raum soll veranschaulichen: die Todesgefahr und zugleich die gesellschaftliche Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern, die nur dort interessieren, wo sie für eine sensationelle Meldung taugen, aber als Individuen und Menschen hinter der Schlagzeile in Vergessenheit zu geraten drohen.
Gestaltung:
Der Raum ist in einem antiseptischen Weiß gehalten, das ja in östlich-buddhistischen Religionen (die in der
Rechtfertigung des Drogenkonsums schon immer eine wichtige Rolle spielten - der Übergang, das Hier und Jetzt,
Augenblick gegen die westliche Rationalität der Geschichte: Vergangenheit und Zukunftsdenken usw.) oft auch als
Farbe der Trauer verstanden wird. Diese Doppeldeutigkeit der Farbe weiß (als kalte Farbe und zugleich Signal der
transzendenten Rites de Passage) ist ein wichtiges Gestaltungsmittel.
In der Mitte dieses Raumes steht eine Totenbahre (Seziertisch), abgeschabt und die Bedeutungslosigkeit des Todes
anzeigend. Von der Decke hängen mit Text bedruckte Stofffahnen, die unten mit vietnamesischen Trauerglöckchen
beschwert sind.
Auf den Fahnen (wie eine moderne "Kaligraphie" der Massenmedien) stehen im unteren drittel Zeitungsmeldungen zu
Drogentoten. Auf einer Wand hängen drei gleiche Fahnen, die ein Schicksal der Anonymität entreißen wollen
- es ist zwar auch eine Zeitungsgeschichte, aber sie erzählt nicht nur das Ergebnis eines Lebens - der vorzeitige
Tod - sondern auch die Geschichte, die dahin geführt hat. Auf der gegenüberliegenden Wand steht in großen
Lettern:
In dem Raum riecht es nach Krankenhaus/Leichenhaus ...
Material:
Raum IV: Glücksraum - Toninstallation
Dieser Raum soll versuchen, das einsame Glücksgefühl, das - als Grenzgang - leicht in Angst kippen kann, auditiv umzusetzen.
Gestaltung:
Der Raum wird durch warmgetönten Stoff, der von außerhalb indirekt beleuchtet ist, in eine Art lichtes Zelt
verwandelt. In der Mitte steht eine rote Ledercouch. Der Boden ist mit weißem Floorteppich belegt. An der der
Zeltöffnung gegenüberliegenden Wand hängt ein Textzitat.
Eine Toninstallation ist so angebracht, dass der Ton scheinbar an den Wänden des Raumes wie eine waagrechte
Klangkaskade entlangläuft. Eigens für die Ausstellung komponierte Percussionsmusik versucht, den Zustand des
Glücks, der Furcht, der Grenzüberschreitung usw. hörbar zu machen.
Material:
Veranstalter und Partner:
Eine Produktion des KOMM-Bildungsbereichs, der Kulturwerkstatt Erlangen und der Psychosozialen Beratungsstelle des Jugendamtes der Stadt Nürnberg im Rahmen des Projekts "JUMP - Jugend-Modellprojekt Prävention", gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Frauen und Jugend.
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