KOMM-Bildungsbereich

1990 - 1999

"Wi(e)der Gewalt"

Schriftzug: Wi(e)der Gewalt © Rolf F. Müller

Ohnmacht und Entsetzen riefen die Bilder von Rostock in mir hervor, ein Gefühl, als Einzelner selbst machtlos dem Geschehen ausgeliefert zu sein. Doch Wut, Scham und Angst, dem aufbrechenden Ungeist nicht Einheit gebieten zu können, und die Empörung gegen einen aktionsunfähigen Bürokratenapparat, mögen den Impuls gegeben haben, mich zu wehren oder das Geschehen so nicht hinzunehmen.
Da kann man nicht einfach zuschauen, da muss man etwas tun.
Dazu darf ich nicht stillschweigen.

Plakat: Es Reicht. © Caroline Halff

Der Gedanke, Plakate zu machen, kam ganz spontan.
Warum machen wir nicht einen Wettbewerb? Wir sind Grafik-Designer. Wir haben einen Verband. Vielleicht empfinden Andere genauso, vielleicht spüren Freunde und Kollegen ebenso das Bedürfnis, etwas dagegenzustellen, vielleicht kann man Gleichgesinnte stimulieren und Gleichgültige aktivieren.

Plakat: Kinder kämen nie von allein auf die Idee... © Thomas Schneider

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
Es soll doch gelingen, den unheilvollen Bildern, andere, wirksamere entgegenzusetzen, die meine Gedanken, deine Befürchtungen und unsere Hoffnungen artikulieren.
Wir wissen, dass Plakate nicht viel ausrichten können, vor allem nicht bei Leuten, die ihren Kopf nur zum Kahlscheren benutzen. Aber gute Plakate können Zeichen stetzen und Mut machen, wenn sie gesehen werden.

Der Verband der Grafik-Designer e.V. (VGD) griff meinen Vorschlag auf, gewann den Verein für Kommunalwissenschaften e.V. Berlin als Partner, der sich um die Unterstützung des Bundesministeriums für Frauen und Jugend bemühte. Die Designerverbände AGD und BDG folgen bereitwillig unserer Einladung und schlossen sich als Mitveranstalter an. Inzwischen waren zwei Monate vergangen mit täglich neuen Anschlägen. Sachsenhausen, Thale, Ravensbrück, Greifswald, Überlingen, Ingolstadt, Lübz, Gutenfürst, Karstädt, Norderstedt, Dolgenbrodt, Wuppertal, Wolgast, Neubrandenburg...
Nach der großen Demonstration in Berlin kam die Zusage aus Bonn und unsere 6000 Aufrufe zum Wettbewerb "Plakate gegen Gewalt und Fremdenhass" konnten versandt werden...
Dann brannten die Häuser in Mölln.
Die grausame Bilanz des Jahres 1992 in Deutschland: 2285 Gewalttaten, 17 Tote.

Das Ergebnis des Wettbewerbs: 1579 Plakatentwürfe aus allen Teilen Deutschlands, einige sogar aus der Schweiz, aus Österreich und aus Paris.

Plakat: Weil alle Menschen verschieden sind © Christoph Preuschoff

Anderthalbtausend ganz persönliche Bekenntnisse zu Menschlichkeit und Menschenfreundlichkeit, leidenschaftliche Zeugnisse gegen Hass und Gewalt, anderthalbtausend Stimmen, fordernd, bittend, zweifelnd, hoffend, Formen, Farben, Gedanken, Worte, die sich zu einem neuen Bild zusammenfügen, zum Nachdenken anregen und zu geistiger Auseinandersetzung auffordern. Anderthalbtausend unterschiedliche Arbeiten, deren Gemeinsamkeit die Idee des Humanismus ist, sind eine überzeugende Bestätigung für mich, für uns alle, dass der Einzelne nicht machtlos und nicht allein ist.

Eine verantwortungsvolle Jury hat 147 Arbeiten ausgewählt, denen ich eine große Öffentlichkeit und nachhaltige Wirkung wünsche.

Anneliese Ernst

Ausstellung davor